Leseprobe:
© Christina Jonke
Sanft wiegt mich das kleine Ruderboot auf den Wellen, die sich wahrscheinlich an den verborgenen Schatztruhen am Grunde des Sees brechen. Denn, so die Sage, als die französischen Heerscharen unter Napoleon 1809 landräuberisch und brandschatzend durchs Land zogen, haben diese ausgerechnet hier, im idyllisch gelegenen Presseggersee, ihre gesamte Kriegskasse und Schätze verloren, die niemals geborgen wurden und über die wohl im Laufe der Jahrhunderte einiges an Seegras gewachsen sein dürfte. So manchen fantasiegeküssten Eisläufer hat man schon erzählen gehört, dass er bei erstem Spiegeleis und entsprechendem Sonnenlichteinfall ein geheimnisvoll goldenes Aufblitzen genau in der Mitte des Sees gesehen haben will. Nun ja. Der Winter ist weit. Warmer Wind streicht mir über die nackte Haut, spielt raschelnd mit dem üppig wachsenden Schilf. Freiheit. Das Holzboot reibt sich an der Schilfwand und wird wieder in die richtige Bahn des schmalen Wasserweges am Abfluss des Presseggersees zurückgeschubst. Geborgenheit. Hier kann nichts passieren, hier ist alles auf dem richtigen Weg, Wasserweg. Entspannung. Plopp, platsch - ein wagemutiger Fisch hat nach einer Mücke geschnappt.
Tut das gut. Hier sich schaukeln zu lassen, wiegen, versteckt im Schutz der geschützten Natur. Vogelgezwitscher, Kinderlachen, Sein. – Nicht mehr, nicht weniger. Einatmen. Ausatmen. Heile Welt spüren.
Da holt mich das geistige Auge vor den Vorhang der Erinnerung.
Donnerstag. Der Wecker klingelt ganz harmlos, alltäglich und doch störend, wie immer. 7.30 Uhr. Es gilt der Außenwelt ins Auge zu blicken. Aufstehen. Entsprechen. Herausforderungen wie Kaffee kochen annehmen. Da: Als erstes verbrenne ich mich an der blubbernden Espressomaschine. Autsch. Einem so kleinen Missgeschick messe ich noch keine Bedeutung bei. Die Zeitung hat nur blödsinnige Politsandkastenschaufelneidgeschichten, Ranglistengiermeldungen und ähnliches zu bieten. Ich lese, dass die Theatervorstellung, die ich mir für heute vorgenommen hatte zu besuchen leider restlos ausverkauft ist. Kann man wohl nichts machen, vielleicht klappt es ja nächste Woche. Beim Abräumen des Kaffeegeschirrs passiert es dann: Mit lautem Bling, Schepper und Klirr zerbirst meine schöne Villeroy& Boch Tasse am Küchenboden. Jetzt dämmert es mir endlich. Eine Pechsträhne! Aber aller guten Dinge sind´s drei, und aller bösen vier - das hat meine Großmutter in solchen Fällen immer gesagt. Also kann mit ein bisschen Glück, hoffentlich wendet sich das Blatt bald, maximal noch ein Malheur passieren. Halb getröstet kehre ich die Scherben auf. Der Rest der lieben Familie taucht zum Frühstück auf. Zuerst die beiden Mädchen. Einmal Kakao, einmal nichts mit Rücksicht auf ein verschlossen muffiges Gesicht. Anders unser kleines Sonnenscheinchen, sie plappert gleich munter drauflos. Sie hat von einem Mond in Bärenform geträumt und der hat sie zu seiner Geburtstagsparty eingeladen. "Pass bloß auf, sonst schieß ich dich schon vorher dort hin." grantelt die Große, die es nicht leiden kann, wenn schon am Morgen fröhliche Konversation stattfindet. Da betätigt die Kleine routiniert ihren Signalschalter und beginnt lauthals zu heulen. Bitte! Nicht gleich nach dem Aufstehen, denke ich, hole tief Luft, um die Schwester zu maßregeln und sehe erst dann, wie diese ganz gebannt unter den Tisch starrt. Dort hängt ein kleiner Fuß von der Bank, darunter bildet sich ein immer größer werdender roter Fleck – Blut! ..........